Autor:
Prof. Anibh M. Das
Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen, Pädiatrische Stoffwechselmedizin
Carl Neuberg Str. 1, D – 30625 Hannover
Email: das.anibh@mh-hannover.de
Einleitung
Die Gruppe der Harnstoffzyklusdefekte umfasst seltene, angeborene Stoffwechselerkrankungen des Harnstoffzyklus, die Häufigkeit aller Harnstoffzyklusstörungen wird mit 1:35.000 bis 1:69.000 angegeben. Biochemisch zeichnen sich diese Erkrankungen dadurch aus, dass das Ammoniak, ein Abfallprodukt im Abbau von Eiweißbausteinen, nicht oder zumeist nicht ausreichend aus dem Körper entfernt werden kann. Ammoniak kann im Gegensatz zum Harnstoff schlecht durch die Niere mit dem Urin aus dem menschlichen Körper entfernt werden. Die Hauptfunktion des Harnstoffzyklus besteht darin, schlecht über die Niere ausscheidbares Ammoniak in wasserlöslichen Harnstoff umzuwandeln, der dann über die Niere ausgeschieden werden kann. In hohen Konzentrationen ist Ammoniak schädlich für das Gehirn.
Typische Symptome bei hohen Ammoniakwerten sind Nahrungsverweigerung, Lethargie (allgemeine Schwäche und Antriebslosigkeit), Koma, epileptische Anfälle und Temperaturregulationsstörungen. Je nach Schweregrad können erste Symptome bereits im Neugeborenenalter gleich nach der Geburt auftreten, bei milden Verlaufsformen treten die Symptome erst im Erwachsenenalter auf. Bei den milderen Verlaufsformen können im Vorfeld einer Stoffwechselentgleisung bereits unspezifische Symptome wie Entwicklungsauffälligkeiten, Kopfschmerzen, Vermeidung eiweißhaltiger Nahrung oder psychiatrische Auffälligkeiten beobachtet werden.
Auslöser für Stoffwechselentgleisungen sind meist Zustände, wo die Kalorienzufuhr über die Nahrung nicht ausreicht, um den Kalorienbedarf des Organismus zu decken (sogenannte Katabolie). Dies kann zum einen gleich nach der Geburt der Fall sein, da das Neugeborene erst einmal das Trinken erlernen muss, bei Brustfütterung muss die Muttermilch erst einmal einschießen, was mehrere Tage dauert. Zum anderen führen Infekte zu Appetitmangel und Nahrungsverweigerung und damit zu Katabolie, auch in höherem Alter.
Die Harnstoffzyklusdefekte gehören nicht zu den Zielerkrankungen des Neugeborenenscreenings auf angeborene Stoffwechselerkrankungen am 2./3. Lebenstag. Zur Diagnosestellung müssen die betreuenden Ärzte einen Verdacht auf das Vorliegen einer Harnstoffzyklusstörung haben oder es gab bereits eine Harnstoffzyklusstörung in der Familie (Indexfall). Der klinische Verdacht gibt Anlass für spezielle Stoffwechseluntersuchungen aus Blut und Urin.
Allgemeine Behandlung von Harnstoffzyklusstörungen
Die Therapie besteht aus einer eiweißarmen Ernährung, um möglichst wenig Ammoniak zu produzieren. Fleisch, Fisch und andere eiweißreiche Nahrungsmittel dürfen nicht verzehrt werden. Ferner ist auf eine ausreichende Kalorienzufuhr zu achten, um zu verhindern, dass der Körper auf seinen eigenen Energiereserven zurückgreift. Dabei wird auch körpereigenes Eiweiß abgebaut, was zu Ammoniakproduktion führt. Eiweißbausteine, die der Körper nicht selbst bilden kann (essentielle Aminosäuren), werden zusätzlich gegeben. Die Harnstoffzyklusstörungen beruhen auf einer Störung von Enzymen, die den Abbau von Ammoniak fördern, oder auf Transporterdefekten. Ähnlich wie bei einem Stau auf der Autobahn, stauen sich vor der Störung Substanzen, wie das giftige Ammoniak, an, hinter dem Stau sind die Produkte der gestörten Stoffwechselfunktion vermindert. Diese (meist Arginin) müssen oft über die Nahrung extra zugeführt werden.
Mit Medikamenten, wie Natrium-Phenylbutyrat, Glycerolphenylbuyrat und Benzoat, kann Ammoniak unabhängig vom nicht richtig funktionierenden Harnstoffzyklus über den Urin ausgeschieden werden. Wenn sich der Ammoniakwert im Blut hierüber nicht senken lässt, kommt als Akutmaßnahme eine Blutwäsche zur Ausscheidung von Ammoniak in Betracht.
Einige Patienten entgleisen trotz Diät und Arzneimittelgabe häufig, bei diesen kann eine Lebertransplantation in Betracht gezogen werden. Diese Operation ist ein großer Eingriff, danach müssen Medikamente eingenommen werden, welche das Immunsystem unterdrücken, um eine Abstoßung des transplantierten Organs zu verhindern. Gerade bei kleinen Patienten kann es nach der Transplantation zu Verengungen an den Anschlussstellen der Gefäße oder Gallenwege kommen.
Die verschiedenen Harnstoffzyklusdefekte sind (nach absteigender Häufigkeit geordnet):
- Ornithintranscarbamylase (OTC)-Mangel
- Citrullinämie (Citrullinämie 1)
- Carbamylphosphat-Synthetase-1 (CPS1)-Mangel
- Argininbernsteinsäure-Erkrankung
- Arginase-Mangel (Hyperargininämie)
- N-Acetylglutamatsynthase-Mangel
- HHH-Syndrom (Hyperammonämie, Hyperornithinämie, Homocitrullinurie)
- Citrin-Mangel (Citrullinämie 2)
Die Betreuung der Patient_innen mit Harnstoffzyklusstörungen sollte in einem Stoffwechselzentrum erfolgen, zumindest sollte eine Mitbetreuung durch ein erfahrenes Stoffwechselzentrum gegeben sein. Neben Stoffwechselärzten/-innen sollen auch erfahrene Ernährungsfachkräfte in die Betreuung eingebunden werden.
Erstellungsdatum: 2025