Verein für angeborene Stoffwechselstörungen e.V. (VfASS)

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Methylmalonacidämie, Methylmalonacidurie

Die Methylmalonsäure ist ein Abbauprodukt mehrerer Eiweißbausteine (die Aminosäuren Isoleucin, Methionin, Threonin und Valin) einiger Fettsäuren (mit ungeradzahliger Kohlenstoffkettenlänge), sowie eines Teils des Cholesterins. Methylmalonsäure wird weiter abgebaut durch ein Enzym (die Methylmalonyl CoA-Mutase), das als Helfersubstanz (Coenzym) Vitamin B12 benötigt. Wenn der Körper Vitamin B12 nicht in seine wirksame Form umwandeln kann, bleibt das Enzym inaktiv und es kommt zur Vermehrung der Methylmalonsäure in allen Körperflüssigkeit, zur Krankheit Methylmalonacidämie. (Bei der angeborenen Methylmalonacidämie aufgrund eines Defektes in der Methylmalonyl CoA-Mutase handelt es sich um eine andere Krankheit, den so genannten Mutase-Mangel!)
Den mit Vitamin B12 behandelbaren Methylmalonacidurien (ohne Vermehrung des Eiweißbausteins Homocystin im Urin), können mehrere, unterschiedliche -Defekte im Abbau von Vitamin B12 zugrunde liegen (Synthese von Adenosylcobalamin: Cobalamin-A Defekt = Mangel an Cobalaminreduktase;  Cobalamin-B Defekt = Cob(I)alaminadenosyltransferase-Mangel, und der bisher ungeklärte Cobalamin-H Defek). Alle diese Defekte werden nicht geschlechtsbezogen (autosomal) und rezessiv vererbt (d.h. das gesunde Erbmerkmal überdeckt das kranke). Vitamin B12 in der Form von Adenosylcobalamin ist die Helfersubstanz (Coenzym) bei der Funktion eines Enzyms Methylmalonsäure-abbauenden Enzyms (der Methylmalonyl CoA-Mutase).

Anzeichen (Symptome) der Erkrankung (vor Behandlungsbeginn bzw. ohne Behandlung)

Die verschiedenen Ursachen der Vermehrung der organische Säure ‚Methylmalonsäure’ im Urin oder Blut sind anhand der beim Patienten zu beobachtenden Auffälligkeiten nicht zu unterscheiden. Bei schwereren Formen der Methylmalonacidämie (Mutase-Defekt) treten schon in den ersten Lebenstagen (meist nach Milchgabe) eine ausgeprägte Übersäuerung des Blutes (Acidose), Vermehrung von Endprodukten eines vermehrten Abbaus der Fette (Ketonkörper), Vermehrung von Ammoniak im Blut (Hyperammonämie), Trinkschwäche, Erbrechen, verstärkte Atmung (Hyperventilation), Bewusstseinseintrübung, Krampfanfälle, Bewusstseinsverlust, Muskelschlaffheit (Hypotonie) und Blutarmut (Anämie) auf. Bei den milde verlaufenden Formen (vor allem bei dem Cobalamin A-Defekt) treten im Säuglingsalter Gedeihstörungen, Blutarmut, Muskelschlaffheit, gelegentlich auch nur eine Übersäuerung des Blutes, zu geringe Mineralisierung der Knochen und häufig das Nachlassen der Nierenfunktion auf. Nach häufigeren Stoffwechselentgleisungen kann eine geistige Behinderung resultieren.
(Der Cobalamin B-Defekt ähnelt am ehesten dem mut–-Typ des Mutase-Mangels, der seltene Cobalamin H-Defekt war zunächst als Cbl-A klassifiziert worden).

Wie wird die Krankheit festgestellt?

Die Kopplungsprodukte der organischen Säuren an das kleine Eiweißmolekül Carnitin lassen sich mittels einer speziellen klinisch-chemischen Labormethode (Tandem-Massenspektrometrie) sowie das freie Carnitin in einem Tropfen getrocknetem Blut relativ leicht messen. Mittels einer anderen Methode (Gaschromatographie-Massenspektrometrie, GC-MS) sind im Urin der Betroffenen in der Regel große Mengen organischer Säuren (Methylmalonsäure, 3-Hydroxypropionat, Methylcitrat und Propionylglycin) nachweisbar.
Mit den genannten Labormethoden lassen sich jedoch die einzelnen, unterschiedlichen Defekte, die zur der Vermehrung der organischen Säuren führen (die verschiedenen Formen der Methylamalonacidämien), nicht voneinander unterscheiden.
Eine genaue Abklärung der Ursachen der Vermehrung von Methylmalonsäure ist entweder durch die Messung der in Frage kommenden Enzyme in Haut- oder weißen Blutzellen (Fibroblasten oder Leukozyten) und/oder genetische Tests vorzunehmen.

Behandlung

Bei den schweren Formen mit Krankheitssymptomen im Neugeborenenalter stehen unabhängig von der Abklärung zwischen Mangel an Methylmalonsäure-abbauendem Enzym  (Mutase-Mangel) oder ungenügender Bereitstellung der Helfersubstanz (z.B. durch Cobalaminsynthese-Defekt) intensivmedizinische Maßnahmen zur Beendigung der Übersäuerung des Blutes, der Beseitigung von Abbauprodukt der Fette (Ketonkörper) und Vermeidung der Vermehrung von Ammoniak im Vordergrund. Daneben sind folgende Medikamente krankheitsspezifisch zu verabreichen:
Vitamin B12 in Form von Hydroxycobalamin oder Adenosylcobalamin (bes. bei Cbl B-Defekten) 10 mg/Tag (!) i. m. oder i. v. mehrere Tage hintereinander bis zur Klärung einer Coenzymsensibilität
(Vitamin B12 als Cyanocobalamin ist weniger wirksam !).
L-Carnitin notfalls intravenös bis zu 250 mg/kg KG
Ziel der Langzeitbehandlung ist eine niedrige Ausscheidung von Methylmalonsäure mit dem Urin, Vermeidung von Unterzuckerungen und von Zuständen mit Ammoniakvermehrungen, sowie die Verzögerung bzw. frühzeitige Behandlung von Nierenschäden.
Methylmalonsäure im Urin: Zielwert < 1000 mg/g Kreatinin (< 960 mmol/mol Kreatinin)
Methylmalonsäure im Serum: Zielwert zwischen 50 und 80 µmol/l (normal: Spur bzw. nicht nachweisbar)

Neben der medikamentösen Behandlung steht eine strenge, die Zufuhr von natürlichem Eiweiß stark einschränkende Diät, d.h. eine eiweißarme Kost (bzw. Diätform, mit Verringerung der Eiweißbausteine Isoleucin, Methionin, Threonin und Valin). Die zusätzliche Verabreichung von Gemischen von Eiweißbausteinen (Aminosäurengemischen, die Isoleucin, Methionin, Threonin und Valin nicht enthalten), zusammen mit dem Zusatz ausreichender Mengen aller Makro- und Mikronährstoffe (z.B. Mineralien, Vitamine, Spurenelemente), wird dadurch erforderlich.
Die Diät mit Reduktion der Zufuhr der Eiweißbausteine (Aminosäuren) Isoleucin, Valin, Threonin und Methionin, die in allen natürlichen Eiweißen enthalten sind, bedeuten für die Betroffenen einen Verzicht auf besonders eiweißreiche Nahrungsmittel, wie
Milch
Milchprodukte (Quark, Käse, Joghurt, Schokolade)
Fleisch, Wurst
Fisch, Meeresfrüchte
Eier
Hülsenfrüchte (Bohnen, Erbsen, Linsen)
Mais
Nüsse
Cornflakes
Gries
Normales Brot, Kekse
Entsprechend der berechneten, täglich aufzunehmenden Eiweißmenge können gegessen werden:
Obst
Gemüse
Kartoffeln und Kartoffelprodukte
Reis
Sahne
eiweißarme Nudeln
eiweißarmes Brot, Brötchen, Kuchen, Waffeln
eiweißarme Milch
Obstsäfte (bei größeren Mengen)
Apfelmus
Nach Bedarf können (ohne Berücksichtigen ev. vorhandener geringer Eiweißmengen):
Wasser, Limonade, Kaffee, Tee
verdünnter Fruchtsirup
KABA fit Banane/Vanille; Erdbeer/Himbeer
Margarine, Öl, Butter
Zucker, Zuckerwatte, Traubenzucker
Süßigkeiten ohne Gelatine
Kaugummi
Wassereis
Honig
Marmelade, Konfitüre
Instant-Götterspeise
Die strenge Diät muss lebenslang durchgeführt werden!
Ein großer Teil des mit dem Urin ausgeschiedenen Methylmalonsäure (und der 3-Hydroxypropionsäure) stammen nicht unmittelbar aus dem Körper des Patienten, sondern werden von Bakterien im Darm gebildet. Deshalb lässt sich in vielen Fällen die Ausscheidung der Methylmalonsäure und der anderen organische Säuren durch Gabe von speziellen, die Bakterien abtötenden Medikamente (Antibiotika der Gruppe Nitroimidazole, z.B. Metronidazol) um bis zu 30% reduzieren.

Aussichten für die Zukunf

Je niedriger die Methylmalonsäure-Ausscheidungen mit dem Urin (bzw. der Konzentration von Methylmalonsäure im Blut) sind, umso rosiger ist die Zukunft. Häufige Stoffwechselentgleisungen verschlechtern die Langzeitaussichten.
Auch bei gut und erfolgreich behandelten Patienten scheint sich spätestens im Kindes- bzw. Jugendalter Nierenschäden (interstitielle Nephritis) auszubilden.
Eine Lebertransplantation und/oder Nierentransplantation/werden wird in einzelnen Fällen notwendig.

Erstellungsdatum: 2010

Die Bereitstellung des Textmaterials erfolgt durch freundliche Überlassung der SHS-Gesellschaft. Ergänzende Informationen finden Sie unter stoffwechselgutleben.de.