Verein für angeborene Stoffwechselstörungen e.V. (VfASS)

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Sehr-langketten-Acyl-CoA-Dehydrogenase (VLCAD)-Defekt

Bei dem ‚Sehr-langketten-Acyl-CoA-Dehydrogenase (VLCAD)-Defekt’ handelt es sich  um eine angeborene, nicht geschlechtsbezogen (autosomal) und rezessiv (d.h. das gesunde Erbmerkmal überdeckt das kranke) vererbte Krankheit aus der Gruppen der Störungen des Abbaus der Fettsäuren (mitochondrialen ß-Oxidation). Aufgrund des Stoffwechseldefektes kommt es zu einer Vermehrung sehr langkettiger Fettsäuren mit Kohlenstoffkettenlängen zwischen 14 und 18 Kohlenstoffatomen [Myristat (C14), Palmitat (C16), Stearat (C18), Tetradecenoat (C14:1) und Oleat (C18:1)]. Ähnlich dem Krankheitsbild des Langketten-3-hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase (LCHAD)- und  Mittelketten-Acyl-CoA-Dehydrogenase (MCAD)-Mangels kommt es bei abbauenden Stoffwechselzuständen (Katabolismus z.B. Stoffwechselstress bei Hunger, Erbrechen, Durchfall, Fieber) zu Energiemangelzuständen. Häufig treten diese Zustände mit Energiemangel  zusammen mit Veränderungen am Herzen auf, die lebensbedrohlich sein können.
Im Rahmen des erweiterten Neugeborenenscreenings mittels Tandem-Massensktrometrie werden in Deutschland aus Trockenblut seit dem Jahr 2002 alle Neugeborenen auf das Vorliegen eines VLCAD-Defektes getestet. Die Häufigkeit wird mit 1 : 50.000 bis 1 : 125.000 angegeben.

Anzeichen (Symptome) der Erkrankung (vor Behandlungsbeginn bzw. ohne Behandlung)

Bei etwa der Hälfte der Patienten mit VLCAD-Defekt treten die ab dem Säuglingsalter aber innerhalb der ersten zwei Lebensjahre die ersten Krankheitserscheinungen  in Form von Unterzuckerungen (Hypoglykämien) und Hypoketonämie/urie (keine Ketonkörperbildung) (hypoketotischen Hypoglykämien!) (Unterzuckerung ohne Vermehrung der aus dem Fettstoffwechsel stammenden Substanzen, der Ketone) vor allem in Situationen mit Stoffwechselstress z.B. durch Fieber bei Grippe (erhöhter Energiebedarf), Erbrechen, Durchfall (mangelnde Kohlenhydratzufuhr) oder bei zu langen Fastenpausen (länger als 6-10 Stunden) auf. Solche Zustände können schnell zu einer dramatischen Verschlechterung mit Bewusstseinsverlust und Krampfanfällen führen. Neben der Unterzuckerung ohne Zeichen eines vermehrten Fettabbaus (hypoketotische Hypoglykämieen) sind bei den Kindern Lebervergrößerung, Muskelschlaffheit und Herzmuskelvergrößerungen (Cardiomyopathien) mit daraus resultierenden lebensgefährlichen Herz-Kreislauf-Versagen, gelegentlich auch mit Hirnschädigungen festzustellen.
Etwa ¼ der Betroffen weisen Unterzuckerungen (Hypoglykämien) ohne vermehrte Bildung der Endprodukte des Fettsäurenabbaus (Ketone) (hypoketotische Hypoglykämien) in den ersten Lebensjahren auf, zusammen mit Leberversagen, Übersäuerung des Blutes (acidose), gelegentlich auch mit Vermehrung von Ammoniak (einer Verbindung aus Stickstoff und Wasserstoff, die in höheren Konzentrationen giftig ist) im Blut und Muskelfaserzerstörung [Rhabdomyolyse; mit Erhöhung der muskeltypischen Enzyme im Blut (CK-Erhöhung)], jedoch keine Herzmuskelveränderungen auf.
Ungefähr 20% der Patienten sind einer milden Form zuzuordnen, bei der es bei Jugendlichen bzw. Erwachsenen zu Muskelschmerzen mit Muskelfaserzerfall nach Muskeltraining oder nach Fasten kommt [Rhabdomyolyse; mit Erhöhung der muskeltypischen Enzyme im Blut (CK) und vermehrter Ausscheidung des roten Muskelfarbstoffs mit dem Urin (Myglobinurie)]. Ausgeprägte Unterzuckerungen und/oder Veränderungen am Herz sind bei den milden Formen nicht zu beobachten.
Ohne Behandlung bzw. vor Einführung des erweiterten Neugeborenenscreenings sind nahezu alle in der Säuglingszeit mit Krankheitszeichen auffällig gewordenen Betroffenen vor Erreichen des 2. Lebensjahres verstorben.

Wie wird die Krankheit festgestellt?

Bei den Untersuchungen im Rahmen des erweiterten Neugeborenenscreenings mittels spezieller Labortechnik (Tandem-Massenspektrometrie) aus Trockenblut findet man einige Verbindungen von Fettsäuren mit dem kleinen Transporteiweiß Carnitin, die so genannten  Acylcarnitine, vermehrt (Myristoylcarnitin (C14), Palmitoylcarnitin (C16), Stearylcarnitin (C18), Tetradecenoylcarnitin (C14:1), Tetradecadienoylcarnitin (C14:2), Oleoylcarnitin (C18:1), die Relation von C14:1/C12:1 ist auffällig verschoben). Freies Carnitin im Blut ist erniedrigt.
Andere Möglichkeiten zur Diagnosesicherung bestehen in der Messung der Enzymaktivität in weißen Blutkörperchen (Leukozyten) bzw. Hautzellen (Fibroblasten) oder einer genetischen Analyse.

Behandlung

Die Behandlung des VLCAD-Defektes ist identisch mit der anderer Störungen im Abbaus der Fettsäuren (mitochondrialen ß-Oxidation der Fettsäuren, z.B. von LCHAD- und MTP-Defekt).
Bei akuten Krisen muss die abbauende Stoffwechselsituation (Katabolismus), verdeutlicht durch Unterzuckerungen (Hypoglykämien), sofort mittels einer Infusion von Traubenzucker (Glucose) beendet werden. (z.B. durch intravenöse 10 – 20%ige Glukoselösung mit Elektrolyten, 10 – 12 g Glucose /kg KG und Tag). In besonders schweren Fällen kann eine höhere Dosierung und zusätzliche Gabe von Insulin notwendig werden. Die Zufuhr von ausschließlich Traubenzucker (Glukose) bzw. Kohlenhydraten (ohne Eiweiß bzw. Aminosäuren und ohne Fette) darf nicht länger als 48 Stunden dauern.
Bei Vorliegen einer Übersäuerung des Blutes (Acidose) während einer akuten Stoffwechselentgleisung müssen entsprechende Mengen dem entgegen wirkende Medikamente (Bicarbonat) gespritzt werden.
Bei fieberhaften Infekten (Schnupfen, Grippe) oder als Vorbereitung für Operationen sollte frühzeitig mehr Energie in Form von Kohlenhydraten mit der Nahrung zugeführt werden (z.B. Maltodextrin: Säuglinge mindestens 15 g/kg KG pro Tag, Kinder 300 g/Tag).
Der Energiebedarf erhöht sich bei Temperaturerhöhung um 1 °C um etwa 10%!
Die Langzeitbehandlung besteht in der Vermeidung von Hungerphasen bzw. zu langen Fastenpausen (nicht länger als 6 Stunden) und in einer speziellen  Diät:
a) drastischen Reduktion der Zufuhr von langkettigen Fettsäuren mit dem Essen:
Vermieden werden soll fettes Fleisch, fetter Fisch, frittierte Nahrungsmittel, Butter, Sahne, Nüsse, Eigelb, Avocado; keine Vollmilch und Vollmilchprodukte (nur Entrahmte Milch, Joghurt, Molke und Mager-Käse bzw. Quark)
b) Gabe von reichlich Kohlenhydraten (unter Bevorzugung von Lebensmitteln mit niedrigem glykämischen Index):
Nudeln, Reis, Pell-, Back- und Salzkartoffeln, Hülsenfrüchte, Bananen, Brot und Brötchen ohne Fett- und Milchzusatz
Falls mit natürlichen Lebensmitteln keine ausreichende Calorienzufuhr möglich ist, sollte Maltodextrin und/oder Milupa basic-f zusätzlich verabreicht werden.
c) Gabe von mittelkettigen Triglyceriden, z.B. MCT-Öl (als so genanntes Ceres-Öl oder Ceres-Margarine). Insgesamt sollte Fett nicht mehr als 30% der Energiezufuhr ausmachen.
Außerdem steht eine spezielle fertige Trinknahrung für die VLCAD-Patienten zur Verfügung (MONOGEN, SHS-Heilbronn).
Bei allen Diätformen unter Reduktion der Gabe von langkettigen Fettsäuren muss auf eine ausreichende Zufuhr der lebenswichtigen (essentiellen) Fettsäuren geachtet werden (z.B. mit Wallnußöl). 3 – 4 % der Energiezufuhr sollte in Form essentieller Fettsäuren erfolgen.
Bei Carnitinmangel sollte L-Carnitin als Medikament in geringen Mengen (z.B. 50 mg/kg KG und Tag) verordnet werden.

Aussichten für die Zukunft

Durch die Erfassung der VLCAD-Patienten im erweiterten Neugeborenenscreening und der damit frühzeitig einsetzenden Therapie vor Ausbildung klinischer Symptome sind  die aussichten für die Zukunft günstiger geworden. Nach wie vor versterben Patienten mit dieser Krankheit an Herzversagen, besonders bei den Formen, bei denen frühzeitig Krankheitszeichen auftreten.
Über Fälle von „plötzlichem Kindstod“ im Säuglings- und Kleinkindesalter (SIDS) aufgrund eines VLCAD-Mangels ist berichtet worden.

Erstellungsdatum: 2010

Die Bereitstellung des Textmaterials erfolgt durch freundliche Überlassung der SHS-Gesellschaft. Ergänzende Informationen finden Sie unter stoffwechselgutleben.de.